Chronik der Studentenprozesse von WS 77/78 bis WS 80/81

Math-Phys-Kommentar von 1981

Zeitungsausschnitt: MathPhys-Kommentar

17.10.77
Prof. Roquette hält vor ca. 300 Studenten die übliche Einführungsveranstaltung. 220 der anwesenden Studenten sind Anfänger. Sie erwarten eine Information, die es ihnen ermöglicht, sich im Institut zurechtzufinden und ins Studium einzusteigen. Statt dessen erhalten sie eine verwirrende Zusammenstellung der verschiedensten Pläne der Professoren, das Studium zu verschärfen, wobei die Pläne als schon durchgesetzte Tatsachen dargestellt werden. Prof. Dr. C. Gerhardt (Bild), frisch aus Bonn, stellt sich vor. Er liest die Analysis I Vorlesung. Ein junger dynamischer Professor, der erklärt, er erwarte, dass die Studenten auch dynamisch sind und 60 Stunden in der Woche lernen, ausserdem ziehe er zur Scheinvergabe eine Klausur in Erwägung.

18.10.77
Erste Vorlesungsstunde in Analysis I. C. Gerhardt gibt Literaturempfehlungen von sich; die Literaturliste enthält Bücher im Werte von ca. 250 DM. Als wesentliche Grundlage seiner Vorlesung benennt er den Dieudonne (58 DM) – auf französisch allerdings billiger, – und Serge Lang. Auf die Fragen von Studenten, ob er nicht einige billigere Standardwerke empfehlen könnte, wie z.B. Endl-Luh oder Erwe: „Endl-Luh – kenne ich nicht“ und der Erwe (9,80 DM) sei zu „trivial“; bei den Mathematikprofessoren beliebter Ausdruck für: primitiv, platt, abgedroschen und bis zum überdruss bekannt.

Oktober – November 77
Nun wird den Erstsemestern höhere Mathematik „beigebracht“, neben Analysis noch insbesondere Topologie. „Sie verstehen den Beweis nicht, lesen sie ihn im Dieudonne, S… nach!“ Als Hilfe das Unverständnis zu brechen, kündigt Gerhardt eine Klausur an. Einige Studenten bilden ein Vorlesungskollektiv. Sie schreiben den nebenstehenden offenen Brief gegen die Klausur an Gerhardt, der von über 100 Studenten der Vorlesung unterschrieben wird.

6.12.77
Ein Student als Nikolaus verkleidet, verteilt in der Analysis I Vorlesung die Scheine an die Studenten und an Prof. Gerhardt eine Rute (Symbol für die Gewalt der Professoren). Gerhardt zeigt sich immer noch nicht zu einer Diskussion bereit.

9.12.77
Das Vorlesungskollektiv verteilt ein Flugblatt, in dem zur Beratung der notwendigen Schritte aufgerufen wird und erste Kampfschritte eingeleitet werden, um die an Weihnachten geplante Klausur zu verhindern. Nachdem Gerhardt sich immer noch auf Stur stellt, wird die 2. Stunde von der übergrossen Mehrheit der Studenten boykottiert und zur Beratung genutzt.

Anfang Dez.
Das Vorlesungskollektiv führt eine Umfrage durch über das Verständnis der Vorlesung. 97,9% der Studenten (142) haben Schwierigkeiten den Vorlesungsstoff zu verstehen; nur 3 antworten, sie hätten keine! Ein einziges Mal wird geantwortet: „prinzipiell für Klausuren“.

20.12.77
Das Vorlesungskollektiv bringt in einem neuen Flugblatt die Ergebnisse der Diskussion zum Ausdruck: “ … dass wir eine Klausur auf jeden Fall ablehnen und auch bereit sind, weiterhin die Klausur mit allen Mitteln zu verhindern.“ Es wird zu einer erneuten Beratung nach der Vorlesung aufgerufen. Gerhardt sieht sich genötigt, die Klausur auf nach Weihnachten zu verschieben, in der Hoffnung über die Ferien die Front aufzubrechen.

Januar 78
Die Klausur wird wieder verschoben, diesmal auf die letzte Semesterwoche, also ende Februar. Das Vorlesungskollektiv und die Fachschaft organisieren ein „Anti-Klausur-Fest“, es werden Plaketten angefertigt und verkauft, die die Ablehnung der Klausur zum Ausdruck bringen.

Februar 78
Während einer Vollversammlung beschliessen die Hörer der Vorlesung Analysis I, die Klausur zu verhindern.

6.2.78
Als am Fastnachtsmontag Claus Gerhardt nicht auf die Vorlesung verzichten will, hängt eine Wandzeitung, von bunten Luftballons getragen, an der Hörsaaldecke. Gerhardt sieht kein Land er verschiebt die Klausur nochmals, diesmal auf Anfang des Sommersemesters; seine Hoffnung: während der Semesterferien sind die Studenten vereinzelt, jeder denkt sich, vielleicht gelingt es nicht die Klausur zu verhindern, jeder lernt, Spaltung geglückt. So weit seien Vorstellung. Da einige Studenten den Schein noch vor dem 2. Semester brauchen, schafft er es immerhin 3 oder 4 Studenten zu zwingen, „in einem repressionsfreien Gespräch“, bei ihm eine mündliche Prüfung abzulegen.

April 78
In den Semesterferien taucht die „Einladung“ zur Klausur am 6.4. im Grossen Hörsaal Chemie um 14:00 Uhr auf; kurz danach hängt eine Einladung zum „Klausurfest“ daneben. Wegen des Physikpraktikums zum angesetzten Termin wird die Klausur (diesmal endgültig) auf den 7.4. in den Grossen Hörsaal Physik verschoben.

7.4.78
Die Hörerschaft versammelt sich vor dem Hörsaal. Dort wird eine Resolution gefasst und das „Klausurlied“ gesungen. Gerhardt, in Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Freiherrn von Waldenfels, zieht alle Register der Spaltung, der Schüchterung, des Zwangs und der Drohung: „Keine Macht der Welt kann mich dazu zwingen, die Scheine ohne Klausur zu vergeben.“ Während seiner Akrobatik gehen ihm die Klausurblätter „verloren“. Sein Assistent Alt steht ihm hilfreich zur Seite, mit dem Original in der Hand sieht Gerhardt sich gezwungen, die Aufgaben an die Tafel zu schreiben. Schliesslich ist es ihm gelungen 39 Studenten zur Klausur zu pressen. Draussen wird nach kollektiver Lösung der Aufgaben beraten und beschlossen in den Hörsaal zu gehen und die Lösung zu verteilen. Claus Gerhardt hält es für besser, die Klausur abzubrechen. Er erhält die von 100 Hörern unterschriebene Aufforderung, die Scheine aufgrund der Übungsaufgaben zu verteilen.

11.4.78
Gerhardt gibt bekannt, dass er die Klausur werten will. Von den 39, die mitgeschrieben haben, sind 7 durchgefallen! Sein Angebot: Die Studenten schreiben während dem Semester 3 bis 4 „Tests“ („um das Reizwort Klausur zu vermeiden“) und wenn sie die alle bestanden haben, bekommen sie beide Scheine, sowohl für Analysis I, wie für Analysis II. Seine Bedingungen um auf Verhandlungen einzugehen: Die Studenten sollen sich von ihrer Fachschaft und dem KBW distanzieren. Die Studenten beschliessen eine Urabstimmung über die Bestreikung der Vorlesung bis zur Herausgebe der Scheine oder bis zum 15.4. durchzuführen und weisen sein „Angebot“ als Unverschämtheit zurück.

12.4.78 – 14.4.78
Es taucht ein Steckbrief an verschiedenen Stellen im Institut auf, der Gerhardt vollends der Lächerlichkeit preisgibt. Er wird später noch Gegenstand einer Strafanzeige werden.

14.4.78
Die Vorlesung wird noch während der Urabstimmung bestreikt. Diese „Macht der Welt“ zwingt Gerhardt die Scheine rauszugeben – der Zusammenschluss der Studenten! Er erklärt, dass er auf die „Tests verzichtet“ und die Scheine rausgibt, weil er sonst befürchtet, dass seine Vorlesung gar nicht mehr stattfindet. Er gibt den Termin bekannt, wann die Scheine abgeholt werden können. Auf Druck der Hörer erklärt Gerhardt, keine Straf-, bzw. Ordnungsverfahren einleiten zu lassen. Dazu gibt es leider kein Dokument, weil er diese Zusage nur mündlich machte. Eine schriftliche Feststellung wäre besser gewesen, wie es sich zeigen sollte.

22.5. – 29.5.
„Am Institut werden Fachschaftswahlen durchgeführt. Die Wahlbeteiligung steigt gegenüber den letzten Wahlen erheblich. In der Physik auf ca. 25% (absolut), in der Mathe auf ca. 20% (absolut). Die Wahlen führen zu dem Ergebnis, dass von der Fachbereichsguppe 6 Kandidaten gewählt werden, vom MSB 1 (in Mathematik), in Physik werden die Kandidaten der Fachbereichsgruppe gewählt. Die Wahlen sind hauptsächlich auf der Grundlage durchgeführt worden, dass die Studentenbewegung das Koalitionsrecht braucht und das Landeshochschulgesetz beseitigt werden muss. Auch an der anderen Fachbereichen werden zu dieser Zeit erfolgreich Fachschaftswahlen gegen das Verbot des Rektorats durchgeführt.

6.6.78
Claus Gerhardt, das Rektorat und die Staatsanwaltschaft halten die Zeit reif, die „Säuberungsaktion“ am Mathematischen Institut anlaufen zu lassen. 5 Anzeigen gegen Fachschaftsvertreter wegen der Aktionen bei der missglückten Klausur werden den Betroffenen zugestellt und somit bekannt. Diese Anzeigen stossen bei den Studenten auf helle Empörung, die mit Klopfen und Hämmern auf den Bänken ausgedrückt wird. Gerhardt weigert sich dazu Stellung zu nehmen oder gar die Anzeigen zurückzuziehen – nachdem er mit seiner Vorlesung nicht mehr durchkommt, bricht er sie ab. Währenddessen werden die Strafanzeigen am ganzen Institut bekannt gemacht, in den verschiedenen Vorlesungen werden Resolutionen zur Zurücknahme der Strafanzeigen gefasst. Professor Leicht fühlt sich bemüht, die Wandzeitung, die dazu aufgehängt ist, gegen den Widerspruch von 30- 40 Studenten abzureissen. Um dies machen zu können, prügelt er auf Studenten ein; alles nur für die „Freiheit der Wissenschaft“. Es werden von zahlreichen Vorlesungen Erklärungen gegen die Strafanzeigen verabschiedet.

7.6.78
Fachschaftsleiter Tobias Brückner schreibt einen Brief an die Professoren – einen Brief, in dem das Verhalten des Professoren Leicht kritisiert wird und die Professoren höflich aufgefordert werden, auf ihre beiden Kollegen, Gerhardt und Leicht, einzuwirken, etwas für die Verbesserung des „Politischen Klimas am Institut“ zu unternehmen, d.h. die Strafanzeigen zurückzunehmen und sich bei den entsprechenden Studenten zu entschuldigen.

8.6. – 9.6.78
Das Vorlesungskollektiv führt eine Urabstimmung über einen Streik mit der Forderung: „Rücknahme der Strafanzeigen“ durch.

9.6.78
Die Hörer übergeben CG eine Stellungnahme, in der sie das Herausgreifen von „Rädelsführern“ verurteilen. Da CG zu keiner Diskussion bereit ist, lassen sich die Studenten die Vorlesung nicht bieten; Gerhardt verlegt die Vorlesung auf 17 Uhr nachmittags; dort erscheinen dann 13 Studenten.

8.6. – 14.6.78
Eine Unterschriftensammlung zur Zurücknahme der Strafanzeigen wegen angeblicher „Rädelsführerschaft“ wird durchgeführt; Es unterschreiben 213 Studenten aus der Vorlesung.

13.6.78
Die Vorlesung wurde bis 12.00 Uhr mit den bekannten Mitteln verhindert. Die lautstarke Ablehnung, die Vorlesung hören zu wollen, wird nach einer Diskussion mit Ex-Institutdirektor Jäger beendet, da Jäger den Studenten zusagt, die Angelegenheit auf der Fakultätskonferenz zur Sprache zu bringen. Voraussetzung dafür sei, dass die Vorlesung ihren „guten Willen“ dokumentiere. Die 2. Vorlesungsstunde findet vor 4 Studenten statt. Währenddessen schreiben die anderen eine Erklärung an die Fakultätskonferenz, in der sie die Rücknahme der Strafanzeigen fordern. Es treffen die ersten Solidaritätserklärungen ein. Die Fachschaft Biologie schreibt: „… Wir befürworten den Klausurenboykott und die von der Fachschaft geleistete Unterstützung als einen wichtigen Schritt zur Abwehr der ständig zunehmenden Studienverschärfungen, in diesem Falle in Form einer zusätzlich eingeführten Klausur. Nachdem diese durch den gemeinsamen Widerstand der Studenten verhindert worden ist, stellt die strafrechtliche Verfolgung einiger weniger stellvertretend für viele den hilflosen Versuch dar, den Tribut für den errungenen politischen Erfolg der Studentenschaft möglichst hoch zu treiben, um damit von ähnlichen Aktionen in der Zukunft abzuschrecken.“ Die Hilfswissenschaftler hängen eine Erklärung aus, unter der sie Unterschriften sammeln. Mehr als 30 Hilfswissenschaftler unterschreiben diese Erklärung.

14.6.78
Der mächtige Druck auf die Fakultätskonferenz veranlasst diese nach stundenlanger Debatte zu beschliessen, eine Delegation zum Rektor zu schicken, die auf die Rücknahme der Strafanzeigen hinwirken soll. Das Rotieren der Professoren auf dieser Fakultätskonferenz dokumentiert sich in einer Zitatensammlung, die wir uns die Mühe gemacht haben, zu erstellen.

15.6.78
Das Rektorat zieht dem Staatsanwalt nach: 8 Studenten (alles Mitglieder der Fachschaft) erhalten ein befristetes Hausverbot für alle Gerhardt Veranstaltungen, Relegationsverfahren werden angekündigt.

16.6.78
Dekan Müller gibt in der Vorlesung das Ergebnis der Fakultätskonferenz bekannt. Er wird von der Vorlesung aufgefordert bis Freitag, den 23.6., über die Verhandlungen zu berichten.

20.6.78
Vorlesung findet ungehört statt. Anzahl der Hörer: eine, wie das Bild ausreichend dokumentiert. Es finden die Vorbereitungen für die Demonstration statt, die durchgeführt werden soll, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen und Druck auf die „Verhandlungen“ der Delegation mit dem Rektor Niederländern auszuüben. Später, bei Bekanntwerden der weiter hinten abgedruckten Briefe sollte sich endgültig herausstellen, dass die Verhandlungen nur Besprechungen über das taktisch geschickteste Vorgehen der Staatsbeamten waren.

22.6.78
Demonstration im Neuenheimer Feld, Kundgebung am Uni-Platz

23.6.78
Das Ultimatum ist abgelaufen. Dekan Müller gibt das „Scheitern“ der Verhandlungen mit dem Rektor bekannt (Bild). Die Studenten sollen nach ihm jetzt auf die Gerichte vertrauen und auf milde Urteile hoffen, aber auf jeden Fall nichts mehr unternehmen. Dieser Gefallen wird ihm nicht getan. Die Studenten verlangen nach wie vor die Einstellung aller Straf- und Ordnungsverfahren. C. Gerhardt erweist sich als unfähig, den Hörsaal durch Rausschmeissen einzelner zu leeren; es scheitert daran, dass er nicht alle Namen weiss. Daraufhin verlässt er freiwillig den Hörsaal. Zu dem Zeitpunkt ist noch nicht bekannt, dass am selben Tag ca. 10 weitere Strafanzeigen (es ist der 2. Stoss) die Fachschaftsmitglieder Mathematik und Physik erreichen. Teilweise 2 in einem Kuvert.

27.6.78
Nach kurzer Diskussion mit C.G. verlassen bis auf 7 Studenten alle die Vorlesung. Als C.G. versucht, die Hörsaaltür zu schliessen, um so eine reibungsfreie Vorlesung durchzusetzen, gelingt es ihm und Dekan Müller nicht, zu verhindern, dass die meisten Studenten wieder hineingehen. Müller kündigt seine nie dagewesene Freundschaft auf: „Jetzt haben Sie mich zu ihrem Feind. Jetzt mache ich Meldung“. In Ermangelung von Vorwänden: die Fachschaftsmitglieder waren ausgesperrt, wird ein tätlicher Angriff Gerhardts auf den Fachschaftsvertreter Matthias Staab benutz, um Anzeigen wegen Hausfriedensbruch, Nötigung und evtl. Körperverletzung vorzubereiten und einzuleiten – natürlich gegen M. Staab, keineswegs etwa gegen C. Gerhardt. Gerhardt, jedenfalls, sieht sich veranlasst, die Vorlesung wieder abzubrechen und zieht sich mit einem Schützling zu einer seiner häufigen Privataudienzen zurück. Nachmittags findet eine Mathematikerversammlung statt, auf der die Lage vor den Semesterferien beraten wird und Beschluss gefasst wird, daran zu arbeiten eine Streikfront am ganzen Institut aufzubauen. Es werden Arbeitsgruppen zu den Themen: Dokumentation, Theaterstück, DPO, Bafög, LHG und SFB gebildet.

30.6.78
Die Vorlesung fällt wegen „Krankheit“ von Claus Gerhardt aus. Die Hörer der Vorlesung beraten mit der Fachschaft das weitere Vorgehen. Der Beschluss der Versammlung wird unterstützt, Arbeitsgruppen werden gebildet.

6.7.78
3. Schwung von Strafanzeigen geht den Fachschaftsvertretern zu, insgesamt sind es bis jetzt ca. 30 Stück (das genaue nachzählen überlassen wir dem Staatsanwalt).

11.7.78
Das Rektorat traut sich, einen Vorstoss zu unternehmen. Der Fachschaftsraum wird geschlossen, die Inanspruchnahme für die Interessen der Studentenbewegung ist verboten. Die Professoren glauben, es sich erlauben zu können, nicht gegen die Schliessung Stellung zu nehmen. Noch am selben Tag werden mehr als 40 Unterschriften für die Öffnung des Fachschaftsraums gesammelt. Senats „AStA“- Vertreter von RCDS und ADH erklären „Recht muss Recht bleiben, mit den Anzeigen ist es schon richtig, wenn gegen Recht verstossen wurde“. Ihre dementsprechenden AStA-Infos verschwinden.

September
6 Professoren, allen voran Puppe geben eine Erklärung „gegen die Strafanzeigen“ heraus. Bei genaueren Hinsehen kann man erkennen, dass auch diese nur ein Manöver zur Spaltung der Studentenbewegung sind. Viel Aussicht hat dieser Versuch so nicht. Der Brief ist im Teil: „Alles für die Freiheit der Wissenschaft“ abgedruckt. Das Rektorat manövriert.

2.9.78
Die Broschüre der Fachschaft

25.9.78
Die Einleitungsbehörde für Hochschulermittlungsverfahren stellt beim Rektor den Antrag auf Ordnungsmassnahmen gegen Tobias Brückner (4. Semester), Tibor Tscheke, Thomas Lutz, Herrmann Burmester (2. Semester) und Heinrich Müller (1 Semester Relegation von der Universität Heidelberg).

7.10.78
Demonstration gegen Prozesse. Die Polizei versucht Tibor zu verhaften.

9.10.78
Rektor Niederländer spricht 4 Relegationen aus. Tobias (3 Semester), Herrmann, Tibor und Thomas (2 Semester) und Henry (1 Semester) aus.

1. Woche des Wintersemesters 78/79
Prof. Leicht hält in diesem Semester die Vorlesung Lineare Algebra II. Er macht deutlich, dass er im letzten Semester der unterlegene war und jetzt um so mehr prinzipiell auf dem Schreiben einer Klausur besteht. Ihm geht es im weiteren ständig ums Prinzip; wenigstens eine Klausur will er durchsetzten. Ca. 30 Studenten wollen die Vorlesung hören.

18.10.78
Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungsverfahren gegen Tibor ein, als verantwortlichen Redakteur der Broschüre vom 2.9.78. Grund: Abdruck der Aussage (Bild) Gerhardts vor dem Staatsanwalt. Staatsanwaltschaft fragt beim KUMI an, ob wegen dem Abdruck des Steckbriefs Strafanzeige gestellt werden soll.

19.10.78
Diskussionsveranstaltung der Fachschaft im Hörsaal -104.

26.10.78
Von den Vorlesungsteilnehmern wird eine Erklärung ausgearbeitet, die mit 30 Unterschriften Leicht übergeben wird. In der Erklärung sprechen sich die Studenten gegen eine Klausur aus. Mit dem Hinweis, dass durch andere Vorlesungen und Praktika jeder ziemlich belastet ist, wurde verlangt, nicht mehr als 40% gelöste übungsaufgaben für den Erwerb des Scheins anzusetzen.

2.11.78
Es findet eine Diskussion mit Prof. Leicht statt. Leicht bekommt die Erklärung überreicht. Trotzdem beharrt er auf seiner Klausur. Er versucht professorenhaft-väterlich zu beschwichtigen; jeder, der fleissig mitarbeitet, wird keine Schwierigkeiten haben, die Klausur zu bestehen.

9.11.78
Die Vorlesungsteilnehmer beschliessen eine Fragebogenaktion, um festzustellen, wie die Stimmung ist und was gegen die Klausur getan wird. Von 24 Studenten befürworten 21 den Boykott der Klausur. Viele sprechen sich auch für einen Warnstreik und für eine Urabstimmung aus.

10.11.78
KUMI antwortet auf die Anfrage der Staatsanwaltschaft vom 18.10.78 und beauftragt sie, Strafanzeige wegen Beleidigung gegen Tibor zu stellen. Die Rechtsanwälte der Fachschaft erheben vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage gegen die Relegation und stellen gleichzeitig den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage, was bedeutet, dass die Relegationen bis zur Entscheidung des Gerichts unwirksam würden.

20.11.78
Anklageschrift gegen Tibor.

23.11.78
Dekan der Physik schreibt einen Brief an Henry, dass er als Relegierter sich nicht in der Uni aufhalten.

29.11.78
Anklage gegen Matthias Staab wird erhoben.

DPO-Hearing der Fakultät für Mathematik. Leitung: Prof. Puppe. Ausserdem Frau Seidelmann vom Rektorat. Die Professoren meinen, man käme um eine Regelstudienzeit nicht herum, weil sonst das KUMI eine oktroyieren würde, die vielleicht noch schlimmer wäre. Als zwei Relegierte sich zu Wort melden wollen, werden sie hinausgeschmissen. Puppe droht die Veranstaltung abzubrechen, wenn die Relegierten nicht gingen. Um die Veranstaltung zu retten, blieb den anwesenden Studenten nichts anderes übrig, als ihre Kommilitonen zu bitten, dem Rausschmiss zu folgen, was diese dann auch taten.

Anfang 12.78
Prof. Puppe (einer der Mitunterzeichner der Erklärung gegen Strafanzeigen) meldet dem Rektor den Vorfall beim DPO-Hearing. Es werden neue Strafanzeigen gestellt. Daraufhin findet ein Gespräch zwischen Puppe und ca. 50 Studenten statt. Puppes Standpunkt: Loyalität zum Rektor und zu Gesetz und Ordnung. Man macht aus, eine Stellungnahme gegen neue Strafanzeigen auch mit anderen Professoren zu diskutieren und dann weiterzukommen.

2.12.78
Die studentischen Vertreter im Fakultätsrat Mathematik stellen den Antrag, dass ihnen wieder ein Raum zur Verfügung gestellt wird. Abstimmungsergebnis: 4:5:2 abgelehnt. Angenommen wird ein Antrag, dass der FKR diesen Wunsch prinzipiell unterstütze, wegen des „derzeitigen Standes der Situation“ selbst keinen Raum zur Verfügung stellen könne.

11.12.78
Rektorat nimmt gegenüber dem Verwaltungsgericht zur Klage der Fachschaft gegen die Relegation Stellung.

13.12.78
Fakultätskonferenz Physik setzt eine Kommission zur Bearbeitung der DPO ein. Die Studenten bilden einen DPO-Arbeitskreis, an dem zeitweise 30 – 40 Studenten teilnehmen. Ergebnis der Arbeit der Kommission: Keine Regelstudienzeit, ein zusätzlicher Seminarschein fürs Diplom. Die FKK [Fakultätskonferenz] beschliesst den Vorschlag nicht, sondern schiebt alles auf die lange Bank, nur der Seminarschein wird eingeführt.

19.12.78
Anklage wegen MPK [MathPhysKommentar] 14.4. gegen Tibor.

Dezember 78
Das Klausurenproblem scheint ausgestanden zu sein. Leicht äussert sich nicht dazu. In der letzten Vorlesungsstunde vor Weihnachten verlangt Leicht von den Hörern einen Terminvorschlag für eine Klausur. Er erwartet, dass sich alle über Weihnachten mit der Klausur abfinden und auch eifrig darauf lernen. Beschlüsse der Studenten gegen die DPO (MPK Anfang 79)

9.1.79
Fortsetzung des Puppegesprächs von Anfang Dezember. Puppe will nicht über Strafanzeigen diskutieren.

10.1.79
Durch das Inkrafttreten einer neuen Lehramtsprüfungsordnung (LPO), die die Landesregierung diktiert hat, ändern sich die Prüfungsanforderungen für Lehramtskandidaten. Interessierte Kreise sinnen nach, wie dies am Fachbereich umgesetzt werden könnte. Wie üblich wird zu diesem Zweck eine Kommission eingesetzt.

17.1.79
Verwaltungsgericht Karlsruhe entscheidet über den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Relegation. Die Relegation von Tobias und Tibor werden voll aufrecht erhalten. Die Relegation von Henry wird ganz aufgehoben, bei Thomas und Herrmann wird sie von zwei auf ein Semester herabgesetzt.

23.1., 25.1. und 30.1.79
Polizeieinsätze an der Mensa gegen Wandzeitungen.

Januar 79
Ein Klausurtermin wurde von den Hörern nicht vorgeschlagen. Es wurde deutlich gemacht, dass keiner an der Klausur mitschreibt. Um die ganze Frage endgültig zu erledigen, einigte man sich auf ein Sonderübungsblatt, das dann am 22. Januar herauskam. Das Sonderübungsblatt sollte „zur Wiederholung“ dienen, ob es als scheinrelevant zu betrachten ist, war nicht klar. Dennoch löste die Mehrzahl dieses Blatt in einem gesetzten Zeitlimit und alle erreichten mehr als 50%. Nicht zuletzt durch dieses übungsblatt erreichte Leicht, dass die Hörerzahl ständig geringer wurde.

Januar – Februar 79
Leicht versucht dennoch mit aller Gewalt einen Kausurentermin anzusetzen. Die Hörer nehmen ihn langsam nicht mehr ernst.

12.2.79
Leicht gibt vor einer reduzierten Teilnehmerzahl bekannt, dass er am darauffolgenden Donnerstag die Klausur schreibt. Zur selben Zeit schreiben die Hauptfachmathematiker mit Nebenfach Volkswirtschaft eine Klausur in diesem Fach.

15.2.79
Vor dem Klausurtermin beraten sich die Studenten in der Cafeteria. Kein einziger zeigte sich bereit, die Klausur mitzuschreiben. Prof. Leicht sitzt eine Stunde allein im Hörsaal. In der zweiten Vorlesungsstunde hält er – fast wie normal – seine Vorlesung. Am Ende setzt eine Diskussion ein, in deren Verlauf er einen Studenten aus dem Saal verweist, einem anderen androht, ihn als „Rädelsführer“ weiterzumelden. Die Scheine werden nur vergeben, wenn eine weitere Klausur mitgeschrieben wird, bzw. eine mündliche Prüfung stattgefunden hat. Leicht hat sich während der ganzen Zeit nie darum gekümmert, wie der Stand der übungsgruppen ist, insbesondere, ob die Hörer die erforderliche Punktzahl erreicht haben. Tatsächlich erzielt jeder mehr als die 112 Punkte, das sind zwei gelöste Aufgaben pro übungszettel.

Semesterferien
Nachdem zwei Stammessen in der Mensa angeboten worden waren, eines zu 1,60 eines zu 1,80 wird zu Beginn der Ferien das billigere Stammessen gestrichen, angeblich wegen Arbeitsüberlastung in den Ferien, das billigere wird aber nie wieder eingeführt. Das Studentenwerk veröffentlicht auch keine Zahlen, die zur Begründung der Erhöhung dienen könnten.

Anfang SS 79
In der ersten Vorlesung für die Erstsemester wird auch über die Frage einer Klausur diskutiert. Blonski will gerne eine schreiben. Auf heftigen Widerspruch der Studenten hin und auf die Erklärung von Prof. Klingmann, der Analysis I liest, er werde keine schreiben, nimmt er dieses Vorhaben zurück.

2.5.79
Zweites DPO-Hearing der Fakultät für Mathematik. Leiter: Busam. Ergebnis: Man beschliesst die Studenten sollen eine Unterschriftensammlung gegen die Regelstudienzeit durchführen. Von vielen Unterschriften gegen die Regelstudienzeit würden sich die Professoren „in ihrem Abstimmungsverhalten beeinflussen lassen“. Die Unterschriftensammlung wird durchgeführt es unterschreiben ca. 100 Diplomstudenten.

30.5.79
Beschluss des FKR Mathematik zu Klausuren: Klausuren werden prinzipiell erlaubt, es werden einige organisatorische Regelungen festgelegt, an die der Dozent sich halten sollte. Hält der Dozent sich an die Regeln, wird sein Vorhaben von der Fakultät unterstützt. Ansonsten kann ein Dozent natürlich immer machen, was er will.

8.6.79
Zum ersten Mal seit Jahren gibt es wieder ein grosses Math-Phys-Fest in der Angewandten Mathematik. Prof. Puppe erhält die „goldene Tarnkappe“ als Preis für die beste Verarschung der Studenten. Versehentlich zahlt Puppe 20 DM in die Kasse der Fachschaft ein. Trotz heftiger Bemühungen kann er es nicht rückgängig machen. Prof. Müller erhält als Dekan die „silberne Tarnkappe“ und Prof. Leicht den Trostpreis.

13.6., 20.6.79
DPO-Mathe im Fakultätsrat

11.6.79
Verwaltungsgericht fordert Verteidigung und Uni zur erneuten Stellungnahme zur Klage gegen Relegationen auf.

15.6.79
Verteidigung gibt die Stellungnahme ab.

18.6.79
Blonski (Lineare Algebra I) fängt die Klausurendiskussion neu an, obwohl seine Hörer sich inzwischen klar dagegen ausgesprochen haben. Ausserdem gibt es Gerüchte, er wolle benotete Scheine herausgeben. Ende der Diskussion: In diesem Semester keine Klausur, im nächsten eine erneute Diskussion darüber. Die allerdings findet nie statt.

20.6.79
Der Fakultätsrat diskutiert und verabschiedet eine neue DPO ohne Regelstudienzeit für das Diplom. Ansonsten könne einige der zusätzlich geplanten Prüfungsanforderungen noch abgeschwächt werden. Es bleibt: Regelstudienzeit von 5 Semestern für das Vordiplom, Festlegung des 3. Scheins auf Praktische Mathematik, eine zusätzliche Prüfung im Diplom.

25.6. – 29.6.79
Es finden gemeinsame Fachschaftswahlen statt bei Physik, Mathematik, Anglistik, Germanistik, Dolmetscher- Institut und Jura. Wahlbeteiligung: Mathematik 22,8%, Physik 30,7%. Beides deutlich höher als im vorigen Jahr, obwohl die Fachschaften keine offiziellen Organe mehr sind und der Rektor die Durchführung der Wahlen in der Universität verboten hatte. Darüber hinaus schickte er seine Rektorenspitzel Berg und Kahl los, um Wahlurnen zu beschlagnahmen und Namen von Studenten für Anzeigen zu sammeln.

28.6.79
Tibor erhält Mitteilung durch die Staatsanwaltschaft Heidelberg wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt am 7.12.78. Universität gibt eine Stellungnahme ab.

3.7., 4.7.79
Fakultätsratswahlen, Senatsastawahlen und Wahlen zum kleinen Senat finden statt. Die Wahlbeteiligung bei den Fakultätsratswahlen waren deutlich geringer als die bei den Fachschaftswahlen (Mathe 14%, Physik 17,2%). Im Senatsasta bekommt die „Liste für AStA und Fachschaften“, die gemeinsame Liste der Heidelberger Fachschaften, 6 der insgesamt 14 Sitze. Sie verfehlt die absolute Mehrheit um weniger als 50 Stimmen.

18.7.79
Anklageschrift gegen Tobias wegen 8 mal Hausfriedensbruch und 4 mal Nötigung. Angeklagt ist die Teilnahme an den Aktionen gegen die Klausur und die Nichteinhaltung des Hausverbotes (Relegation).

21.7.79
Symposium des SFB 123.

6.8.79
Gegen Tobias wird ein weiteres Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil er „sich vor dem Haupteingang des Instituts für Mathematik“ aufgehalten habe. Das Verfahren wird später wieder eingestellt.

24.9.79
Anklageschrift gegen Tobias wegen 6fachen Hausfriedensbruch (Nichteinhaltung des Hausverbots).

12.10.79
Antwort des Dekans der Physik auf den offenen Brief der Fachschaftsvertreter bei einem Gespräch. In allen wichtigen Fragen geht der Dekan einer Antwort aus dem Weg.

Semesterferien 79
Offener Brief der Fachschaft Physik an Dekan Münnich zu den Studienbedingungen und zur Frage eines Fachschaftsraums.

15.10.79
Beginn des Prozesses gegen Matthias Staab wegen der Gerhardt-Auseinandersetzung. Vernehmung der Zeugen der Anklage Müller, Jäger und Alt. Wie jedes Jahr findet die offizielle Einführungsveranstaltung für Erstsemester statt. Prof. Dold leitet sie. Zum ersten Mal seit Jahren gestattet Prof. Dold der Fachschaft, regulär als Fachschaft im Rahmen der Einführungsveranstaltung zu den Studenten zu sprechen. Der Beitrag erhält mit Abstand den meisten Beifall auf der Veranstaltung.

16.10.79
Die Fachschaft veranstaltet eine gut besuchte Einführungsveranstaltung. Dort werden die Anfänger über einige Dinge informiert, die von den Professoren bei der offiziellen Einführungsveranstaltung regelmässig weggelassen werden. Urteil zu den Ersatzgeldern im Chemiepraktikum. Die verlangte Kaution von 50 DM ist rechtswidrig. Aber die Universität legt Berufung ein, so dass wir vorläufig weiterhin die Kaution zahlen müssen. Wegen der 30 DM für die Anfagsausrüstung wird später eine erneute Klage eingereicht werden.

Anfang Wintersemester
Die Fachbereichsgruppe richtet einen Arbietskreis Prozesse ein. Für das Chemiepraktikum gibt es mal wieder eine Warteliste. 8 Studenten können das Praktikum nicht belegen. Es wird vorgeschlagen, statt Physik auch ein anderes Nebenfach als Chemie zuzulassen, etwa Biologie, Astronomie oder einen Programmierkurs.

18.10.79
Fortsetzung des Staab-Prozesses, Vernehmung von Leicht.

22.10.79
Fortsetzung im Staab-Prozess, Vernehmung von Gerhardt und Plädoyers. Im Plädoyer des Staatsanwaltes werden Einzelstrafen von insgesamt 24 Monaten verlangt. Der Gesamtstrafantrag lautet auf 10 Monate ohne Bewährung. Im Urteil wird Matthias Staab wegen fortgesetztem Hausfriedensbruchs und Beleidigung zu 6 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Die Verteidigung legt Berufung ein.

ab 24.10.79
Jeden Mittwoch im Semester findet ein Anfängertutorium zur Beratung bei Schwierigkeiten aller Art statt.

26.10.79
Semesteranfagsfest in der Angewandten Mathematik. Das letzte Exemplar des Gerhardt-Steckbriefes wird versteigert. Es bringt knapp 150 DM für den Rechtshilfefonds der Fachschaft ein.

31.10.79
Anfängerkaffee zum weiteren Kennenlernen und für weitere Informationen.

Oktober 79
Offener Brief von 74 Lehramtsstudenten an den Dekan, in dem der Mangel an Seminaren für Lehramtsstudenten beklagt wird.

5.11.79
Die Fachschaftsvertreterkonferenz der Uni beschliesst einen Aufruf für eine Podiumsdiskussion über die Studentenprozesse.

7.11.79
Der für diesen Tag angesetzte Prozesstermin wegen den Gerhardt-Auseinandersetzungen wird aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft möchte zusammen mit anderen Anklagen gegen Tobias einen Mammutprozess vor der Grossen Strafkammer des Landgerichts. Das Landgericht zieht drei Anklagen vor der Grossen Strafkammer zusammen, 4 andere Anklageschriften werden wieder ans Amtsgericht zurückverwiesen, darunter auch die Gerhardt-Anklage.

13.11.79
Informationsveranstaltung der Fachschaft zu den Mathematikerprozessen in der Alten Krone. Es kommen über 50 Studenten. Nur ein Professor, trotz vieler Einladungen. Es werden 80 DM für den Rechtshilfefonds gesammelt. Ein Offener Brief an Rektor Laufs wird verabschiedet.

13.11. – 15.11.79
Vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe beginne ca. 1 1/2 Jahre nach Klageerhebung die ersten Verhandlungen über die Rechtmässigkeit der Relegationen gegen die Fachschaft. Die Verfahren sind bis zum heutigen Zeitpunkt nicht abgeschlossen, weil Gerhardt in den USA ist. Er wird am 15.4.1980 vernommen werden.

27.11.79
Die Fachschaft Mathematik beschliesst, den Rechtshilfefond in einer festen Form aufzubauen. Studenten, die den Kampf gegen die Strafanzeigen unterstützen wollen, erklären sich bereit einen regelmässigen monatlichen Beitrag zu leisten.

12.12.79
Der Fakultätsrat Mathematik beschliesst, eine Empfehlung an den Rektor, die Strafanzeigen zurückzuziehen. Allerdings mit einer Präambel, in der jede Gewaltanwendung (gemeint sind die Aktionen der Studenten) verurteilt wird. Der Anfang, einen Aufenthaltsraum für Mathematiker einzurichten, also eine Teeküche für Studenten, wird vertagt. Die LPO-Kommission legt ihr Ergebnis vor, auf dessen Grundlage die Studienpläne für Lehramtsstudenten überarbeitet werden sollen.

18.12.79
4 Studenten sprechen mit dem Rektor über die Rücknahme der Strafanzeigen. Bei zwei Leuten sieht der Rektor keine Chance – sie seien Mitglieder der KHG, bei den anderen will er es sich überlegen.

17.1.80
Es findet eine Podiumsdiskussion (ohne den eingeladenen Rektor, er hatte eine Teilnahme abgelehnt) statt, allerdings mit einigen anderen Professoren und ca. 900 Studenten über die Straf- und Ordnugsverfahren an der Universität Heidelberg. Die Professoren Theunissen und v. Beyme sprechen sich für eine „Generalamnestie“ aus, es wird eine Unterschriftensammlung an Rektor Laufs für die Zurücknahme aller Strafanzeigen eingeleitet.

21.1.80
Anklage gegen Hermann Burmester wird erhoben, wegen zweimaligen Hausfriedensbruchs und Nötigung, sowie Diebstahls (eines Stück Papiers) in einem Fall. Zwischenbilanz des Rechtsbeihilfefonds: Kontostand 1236,48 DM. Im Dezember 49 regelmässig zahlende Mitglieder. Es wurden 347,35 DM gespendet.

25.1.80
Beginn das zweiten Mathematikerprozesses geben Tibor Tscheke. Vernehmung von Gerhardt und Alt. Ein Brief von Prof. Waldenfels aus Kanada wird verlesen, in dem er erklärt, er könne sich an nichts mehr erinnern.

28.1.80
In der Fortsetzung des Prozesses gegen T. Tscheke werden Prof. Jäger und Polizeiobermeister Trunk vernommen. Vernehmung der Entlastungszeugen in Tscheke-Prozess. 8 studentische Zeugen werden vernommen, sowie der Belastungszeuge Polizeikommissar Seitz. Der Fakultätsrat Physik verabschiedet eine Resolution gegen die Strafprozesse. Der Hiwi-Ausschuss der Mathematiker tagt. Die Mittel für Hiwis sind vom Verwaltungsrat gekürzt worden. Es gibt überlegungen, wie man die Hiwi-Einstellungpolitik neu regeln könnte.

8.2.80
Math-Phys-Fest im Hörsaalgebäude Physik. Der Institutsdirektor Krieger stellte die Angewandte Mathe nicht zur Verfügung.

9.2.80
Es werden Briefe von Studentenvertretern und einigen Angeklagten an den Rektor geschickt, mit der Frage, warum er nicht mit den Angeklagten selbst reden wolle, wie er es versprochen habe.

14.2.80
Antwort des Rektors auf die Briefe vom 9.2. Ein Gespräch erübrige sich, weil er doch keine Anzeigen zurücknehmen werde.

15.2.80
Vernehmung eines weiteren studentischen Entlastungszeugen und die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung im Tscheke Prozess. Der Staatsanwalt sieht alle Anklagepunkte als erwiesen an und beantragt unter gnädigem Verzicht auf eine Gefängnisstrafe 210 Tagessätze zu 33 DM (= 6930 DM). Die Verteidigung fordert Freispruch.

Ende des Semesters
Im Physikpraktikum gibt es einige Proteste wegen der hohen Arbeitsbelastung. Neue Studienpläne werden ausgearbeitet, Roquette verteilt Entwürfe zum Diplom und Staatsexamen. Die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen.

21.2.80
Urteil gegen Tibor Tscheke vor dem Amtsgericht: Freispruch in drei der sieben aufrechterhaltenen Anklagepunkte. Durch Erhöhung der Einzelstrafen kommt Richter Simon auf 140 Tagessätze a 30 DM (=4200 DM) Geldstrafe.

27.2.80
Nach Ablehnung der Revision wird das Urteil gegen Tobias Brückner wegen der Auseinandersetzungen um die Waldenfels-Vorlesung im WS 1975/76 rechtskräftig. (600 DM Geldstrafe und 5 Monate Gefängnis auf 2 Jahre Bewährung)

Prof. Puppe verspricht, sich beim Rektor für einige Angeklagte einzusetzen. Für Matthias und Tibor könne er nichts tun, weil er sie nicht kenne, und für Tobias nicht, weil er ihn nicht leiden könnte. Anschliessend gehen Jäger, Roquette und Puppe zum Rektor Laufs. Der Rektor sei nur bereit, etwas gegen die Strafanzeigen zu unternehmen, so berichteten sie unter der Hand, wenn die Angeklagten eine Erklärung verfassen, in der sie „die Angelegenheit nochmals überdenken und die ganze Sache bereuen“! Die Angeklagten geben tatsächlich eine Erklärung ab, die wohl nicht ganz im Sinne des Rektors ist, denn genauso wie gewisse Professoren an der mathematischen Fakultät hielt der Rektor sein Versprechen nicht.

Anfang SS 80
Professor Freitag kündigt eine verschärfte Leistungskontrolle in seiner Anfängervorlesung Analysis I an. Er nennt die Alternativen: entweder Klausur, oder verschärfte übungsgruppen.

Einige Wochen später
In einer Diskussion lässt Freitag abstimmen. Die grosse Mehrheit ist gegen eine Klausur. Statt dessen kommen aber jetzt die übungsgruppen mit Anwesenheitspflicht und obligatorischen Vorrechnen an der Tafel. Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben ist zu hoch.

Im Laufe des Semesters finden noch mehrere Diskussionen über die Bedingungen der Scheinvergabe statt, in denen Freitag sich jedoch nicht bereit zeigt, den studentischen Forderungen auch nur einen Schritt entgegenzukommen.

Ebenfalls zu Beginn des Semesters
bringen die studentischen Vertreter im Fakultätsrat Physik, sowie in Mathematik einen Antrag ein, in dem der jeweilige Fakultätsrat den Rektor bittet, die Strafanzeigen zurückzunehmen. Während der Fakultätsrat Physik dem Antrag zustimmt, gibt es im Fakultätsrat Mathematik Schwierigkeiten. Hier kann man sich erst zu einer Erklärung durchringen, nachdem Dekan Roquette den Antrag unterschrieben hat. Nun distanziert man sich von „aller Gewalt“. Ausserdem will Roquette die Forderung nach Rücknahme der Strafanzeigen nicht selbst dem Rektor übermitteln und so arrangiert er ein Gespräch der studentischen Mitglieder im Fakultätsrat mit dem Rektor.

Das Gespräch mit dem Rektor
Nach einer stundenlangen Schilderung der Ereignisse in der Gerhardt-Vorlesung und der Bemühungen der Studenten, den Konflikt friedlich zu lösen, erklärt sich Rektor Laufs dazu bereit, einige der Angeklagten zu empfangen. Mitglieder der KHG jedoch will er nicht sprechen, denn die haben es sich ja „als Aufgabe gesetzt, den Unibetrieb zu stören“. Leider ist bis heute keiner der Angeklagten in den zweifelhaften Genuss gekommen, mit dem Rektor zu sprechen. Auf das Podium einer geplanten Podiumsveranstaltung zu gehen ist er nicht gewillt: wenn da ein Mitglied der KHG sässe, würde man zu Aussagen gedrängt, die man nicht so meine.

11.6. – 13.6.80
Die Fachschaftswahlen werden zugunsten einer uniweiten Wahl auf das Wintersemester verschoben. Die Wahlen der studentischen Vertreter in den offiziellen Gremien der Universität finden statt. Zum erstenmal können die linken Listen den Vorsitz im Senats“AStA“ stellen. In der […] wird sich wiederum herausstellen, dass das Gremium „SenatsAStA“ eine unfähige Studentenvertretung ist. Von der langen Verweigerung der Räume des Senats“AStA“ bis hin zur Ablehnung der Referenten reicht die Palette des Rektors. Zum Beispiel gelangt kein Student in einen Ausschuss des kleinen Senats, der von der linken Liste vorgeschlagen wurde.

Ende SS 1980
Es gelingt den Studentenvertretern Physik einen Raum im Theoretikum zu erhalten (Geb. 365, Zi. 206).

Etwa 10 von 50 Hörern der Vorlesung Analysis I erhalten den Schein nicht. Freitag besteht auf mündlichen Nachprüfungen bei den Betroffenen, die zu Beginn des Wintersemesters stattfinden sollen.

Anfang WS 1980/81
Die Mehrzahl derjenigen, die den Analysis I Schein nicht bekommen haben, geht freiwillig in die Vorlesung von Leinert zurück. Von denen die sich der Prüfung unterziehen, erhalten zwei den Schein endgültig nicht.

13.10.80
Prof. Puppe, das beste Pferd im Stall der Fakultät, wenn es darum geht, Klausuren zu schreiben, hält wieder die Anfängervorlesung Lineare Algebra I. Noch immer scheint eine Steigerung der Studienverschärfungen möglich. Puppes Anforderungen an die Anfänger:

  1. Von wöchentlich 6 Aufgaben müssen 4 bearbeitet, 2 davon richtig gelöst werden.
  2. Anwesenheitspflicht in den übungsgruppen incl. Mitarbeit.
  3. Bestehen einer Klausur.

Alle 3 Kriterien müssen erfüllt sein, um den Schein zu erhalten. Damit die Klausur nicht von einer Tagesleistung abhängt, schlägt Puppe gleich mehrere Klausuren vor. Doch nicht nur die Scheinvergabekriterien übertreffen alles dagewesene, sondern auch die Begründung: Die Postfachschule in Diburg erkennt Scheine ohne Klausur nicht an. Allerdings ersetzt in Diburg die Klausur eine Zwischenprüfung in Mathematik.

22.10.80
Beginn des Prozesses gegen Hermann Burmester. Angeklagt ist er wegen Hausfriedensbruch und Nötigung, die er am 6.6. und am 13.6.78 begangen haben soll, sowie wegen Diebstahls eines Blattes Papier, ebenfalls am 13.6.78.

24.10.80
Zweiter Prozesstag im Prozess gegen Hermann und Urteilsverkündung gegen 20.30 h. Das Gericht verurteilt Hermann zu 5 Monaten ohne Bewährung!

27.10.80
Prof. Puppe wird in der Anfängervorlesung zum Urteil angesprochen. In dieser Vorlesung gibt Puppe bekannt, dass er auf eine Klausur verzichtet, da „die Gemüter jetzt doch viel zu erhitzt wären“ und ausserdem habe er in der Vorlesung „doch Widerstand gespürt“. Gleichzeitig kündigt er an, dass er dennoch auf verschärfen übungsbetrieb beharrt.

Anfang bis Mitte November
Die Hörer von Freitags Analysis II Vorlesung führen eine Fragebogenaktion zur Vorlesung und den übungen durch.

10.11.80
Freitag reisst in seiner Eigenschaft als Institutsdirektor im Foyer der Reinen Mathematik eine Wandzeitung zum Thema Prozesse ab, die dort im Rahmen eines Infostandes zum Burmester Prozess aufgehängt war. Er weigert sich, zu den Prozessen selbst Stellung zu nehmen.

14.11.80
In der Vorlesung auf den Vorfall vom 10.11. angesprochen, weigert er sich wieder Stellung zu nehmen, mit der Begründung, er dürfe nicht in ein schwebendes Verfahren eingreifen. Jedoch auf das Thema Fachschaftswahlen angesprochen, kündigt er indirekt weitere Strafanzeigen an für den Fall, dass Wahlurnen in der Reinen Mathe aufgestellt würden.

24.11. – 28.11.80
In dieser Zeit finden uniweite Fachschaftswahlen statt. Gewählt wird an 9 Fachbereichen. Trotz teilweise massiver Behinderungen durch das Rektorat mit Androhungen von Strafanzeigen (z.B. am Di) lag die durchschnittliche Wahlbeteiligung deutlich über 20%, also weit höher als etwa bei Senatsasta Wahlen, oder anderen Bevormundugsgremien.

26.11.80
Nach einiger Mühe konnte der Punkt „Prozesse“ auf die Tagesordnung des Fakultätsrates Mathematik gesetzt werden. Die studentischen Vertreter stellen den Antrag eine Erklärung zu beschliessen, in der sich die Fakultät prinzipiell gegen die strafrechtlichen Folgen von fakultätsinternen Auseinandersetzungen ausspricht, den Rektor nochmals auffordert die Strafanzeigen zurückzuziehen und schliesslich den Rechtshilfefonds durch teilweise übernahme der Gerichtskosten entlastet. Die Diskussion wird nur darüber geführt, ob man überhaupt eine neue Erklärung beschliesst. Letztendlich verweist man auf alle „Versuche“ das Dekans und der Professoren, den Rektor zur Rücknahme der Strafanzeigen zu überreden und führt sie als Beweis an, dass solche Erklärungen zu nichts nütze seien. Die Professoren lehnen also mit überwältigender Mehrheit die Diskussion einer neuen Erklärung ab, statt dessen wärmen sie die alte wieder auf, in der man sich von allen „Gewalttätigkeiten“ distanziert und bestätigen diese noch einmal.

27.11. – 8.12.80
Berufungsverhandlungen von Tibor Tscheke, vor dem Landgericht. Verurteilt wurde er wegen presserechtlicher Verantwortlichkeit, Hausfriedensbruch, Nötigung usw. Ein Teil der Anklagepunkte war eingestellt worden unter der Bedingung, dass Tibor auf die Revision verzichtet. Das Urteil von 120 Tagessätzen a 20 DM ist somit rechtskräftig. Tibor muss zudem die Gerichtskosten übernehmen und 2/3 der Flugkosten von C.G., das sind 3200, der eigens zur Vernehmung 1. Klasse aus Amerika eingeflogen wurde. Das Urteil gegen Matthias Staab – 6 Monate mit Bewährung – ist ebenfalls rechtskräftig, da die Berufung von beiden Seiten am 1. Prozesstag zurückgezogen wurde.

2.12.80
Podiumsdiskussion zum Thema „Prozesse“. Zum erstenmal ist es an der mathematischen Fakultät möglich eine öffentliche Veranstaltung zu einem solchen Thema zu machen. Zum einen sollen die jüngeren Semester informiert werden, zum anderen soll beraten werden wie in Zukunft solche Auseinandersetzungen vermieden werden, und was konkret gegen die Prozesse unternommen werden kann. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die Fakultätsleitung Roquette und Jäger – beide hatten sich geweigert aufs Podium zu gehen – auch weiterhin nicht bereit ist die Kampfmassnahmen der Studenten gegen eine Klausur, als rechtmässig anzuerkennen. Im Gegenteil: alle anwesenden Professoren ausser Prof. Klingmann berufen sich immer wieder auf die sogenannten demokratischen Spielregeln, die auch bei Auseinandersetzungen an der Uni eingehalten werden müssten, was nichts anderes heisst, als bedingungslose Unterwerfung der Studenten unter die Macht der Professoren.

3.12.80
Der erstinstanzliche Prozess gegen Tobias Brückner beginnt. Angeklagt ist er in 7 Punkten (wie immer Hausfriedensbruch und Nötigung).

Anfang bis Mitte Dezember 80
Unter den Professoren der mathematischen und der physikalischen Fakultät wird eine Unterschriftensammlung durchgeführt. In der Physik stützt sich diese Aktion auf eine Erklärung des Fakultätsrates vom Februar. Einige Profs weigern sich zu unterschreiben, ohne dass auch die angeklagten Fachschaftsvertreter unterzeichnen. Es zeigt sich, dass die Fakultät auf einer ganz bestimmten Interpretation ihrer eigenen Erklärung besteht, nämlich der, dass die Studenten in Zukunft auf Kampfmassnahmen in jedem Fall verzichten. Nur unter dieser Bedingung wollen sich die Physikprofs für die Angeklagten einsetzen.

15.12.80
Puppe teilt einen anonymen Test aus, in dem mathematische Fragen und solche wie „was haltet ihr von Klausuren“ enthalten sind. In Point (SDR 3) wird ein Beitrag über die Mathematikerprozesse in Heidelberg gesendet, der sich eindeutig gegen die Strafverfolgung von Studentenvertretern richtet.

Ab 15.12.80
In den Vorlesungen wird eine Spendensammlung zu Gunsten des Rechtshilfefonds durchgeführt.

Hinweis
Im Februar und März nächsten Jahres finden die Prozesse gegen Henry Müller und Thomas Lutz statt. Beide sind ebenfalls in Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Gerhardt Klausur angeklagt. Das Strickmuster der Anklage ist bestens bekannt: Hausfriedensbruch, Nötigung, Beleidigung usw.