Briefe von Professoren – Schliessung des Fachschaftsraums

aus: MathPhysKommentar von 1981

Brief von Dekan Müller an „seine Magnifizenz“
(7. Juni 1978)

Betr.: Störungen des Lehrbetriebs und Zusammenstösse zwischen Studierenden (Mitglieder der Fachschaft Mathematik und Physik) und Mitgliedern des Lehrkörpers Beilagen: s. Ende des Briefes

Magnifizenz,

an der Fakultät Mathematik ist eine Beunruhigung des Lehrkörpers und eine spannungsgeladene Situation durch die Präsenz der Fachschaft für Mathematik und Physik entstanden; diese Situation droht der Kontrolle zu entgleiten. Einzelheiten ergeben sich aus den Beilagen.
Ich berichte, dass dem Vernehmen nach der damals hier tätige Prof. K. Krickeberg der Fachschaft ein Zimmer im Standardgebäude, Im Neuenheimer Feld 294, Nr. 002, Tel.: 3282, zur vollen Nutzung überlassen hat. Dies geschah im Jahre 1969, als das genannte Gebäude bezugsfertig wurde. Von dieser Zentrale aus sind seitdem alle Störungen ausgegangen und von dort aus wurde politisch agiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Universitätsverwaltung darüber im Laufe der Jahre keine Kenntnis erhalten hat, und dass Ihnen nicht entsprechende Unterlagen zusammengestellt werden können. Nur als Detail aus den letzten Tagen erwähne ich, dass die genannte Fachschaft für sich „Wahlen“ abgehalten hat, und sich darauf nun stützt. – Es erübrigt sich, auf die politisch gelenkten und in Bild und Wortwahl kennzeichnenden Wandpamphlete hinzuweisen. Kurz, es erscheint mir eine Aufhebung dieser Störungszentrale eine Notwendigkeit.
Natürlich bin ich nicht der Meinung, dass durch diese Massnahme „störungsfreie“ Vorlesungen garantiert werden könnten. Zunächst wird der Personenkreis der Fachschaft weiter agieren, aber ohne anerkannte Zentrale an der Universität. – Weiteres, die alte Spaltung zwischen Lehrenden und Lernenden wird naturgemäss bestehen bleiben, aber deren Missbrauch für politische Ideologien und deren zielbewusst Verfälschung und Verschärfung könnten gemildert werden. Zu der eingangs genannten Beunruhigung tritt ein andersartiger Faktor hinzu, nämlich, dass wir uns alle hinsichtlich des juridisch korrekten Verhaltens in völliger Unsicherheit befinden. Beispielsweise bekam ich bezüglich des Hausrechts von hauptamtlich tätigen Juristen unserer Universität folgende Auskünfte:

a) In den beiden Gebäuden der Fakultät Mathematik hat der jeweilige Institutsdirektor (Prof. J. Leicht für die Reine Mathematik, Prof. W. v. Waldenfels für die Angewandte Mathematik) das Hausrecht.
b) Für die gesamte Fakultät Mathematik hat der Dekan das Hausrecht.
c) Für jedes Gebäude der Universität hat der Rektor das Hausrecht, – und, Magnifizenz, bitte , wer von uns hier weiss schon, was „Hausrecht“ bedeutet! Wie weit diese Unsicherheit geht, zeigen zwei Erklärungen:
A: „Ich“ werde durch den Hausmeister das ganze Zimmer räumen lassen, neu ausstatten und zweckgemäss verwenden;
B: „Ich“ kann keinen Schritt unternehmen, denn man darf keine Zimmerschlösser aufbrechen und fremdes Eigentum anrühren. (NB. nur die Putzfrau hat einen Schlüssel zu dem besagten Zimmer).

Last, but not least, habe ich gehört, dass die „Fachschaften“ Verboten seien, aber ich muss gestehen, ich weiss nicht nach welchem Gesetz noch was „Verbot“ in der Durchführung heisst. An Versuchen meinerseits, durch Entschärfungen in Einzelsituationen und durch Gespräche mit Fachschaftsmitgliedern zu einer geordneten Form des Zusammenwirkens im Sinne von § 95 UG zu gelangen, hat es nicht gefehlt. Diese Versuche wurden von der einen Seite kritisiert, von der anderen als Schwäche ausgelegt. Beides störte mich so lange nicht, als ich glauben konnte, zu einer Normalisierung schrittweise zu gelangen. Diesen Glauben habe ich nicht mehr.
Nun bringe ich Eurer Magnifizenz zur Kenntnis, dass ich weder für einen gesicherten Studienbetrieb Sorge tragen kann, noch absehen, wie Zusammenstösse zwischen Vertretern der Fachschaft und Mitgliedern des Lehrkörpers verhindert werden sollen.
Von mir und in diesem Fall genauer von den jeweils betroffenen Mitgliedern des Lehrkörpers können Sie durch Befragung und Einholung von Berichten die Informationen, die Sie für Ihre Entscheidungen benötigen, jederzeit erhalten. – Was wir nicht leisten können, ist die Durchführung irgendwelcher Massnahmen, insbesondere mit Rechtskonsequenzen, und solche „Schritte“ (unsererseits) lägen sicher auch nicht im Interesse der Rechtsabteilung unserer Universität. Daher bitte ich Sie, Magnifizenz, gesicherte Verhältnisse wieder herzustellen und die dazu erforderlichen Massnahmen anzuordnen und durch Fachkräfte durchführen zu lassen.

Eurer Magnifizenz
sehr ergebener
Prof. Dr. Gert H. Müller

Beilagen:
1. Bericht von Prof. Dr. Claus Gerhardt vom 25.4.1978, 5.5.1978, 6.6.1978 und 9.6.1978
2. Bericht samt Anlagen von Prof. Dr. Joh. Leicht vom 6.6.1978
3. Bericht von Prof. Dr. Wilhelm von Waldenfels vom 13.4.1978, samt Beilage eines Plakates vom 8.6.1978
4. Bericht von Prof. Dr. Peter Roquette samt Beilagen vom 9.6.1978

Zweiter Brief von Dekan Müller diesmal an „Herrn Berg“
(27. Juni 1978)

Sehr geehrter Herr Dr. Berg,
wie eben telephonisch vorweg an Herrn Kahl mitgeteilt, bringe ich hiermit zur Kenntnis:

  1. am 27.6.1978 um 11.15 Uhr betrat ich mit Herrn Prof. Gerhardt (dessen Einverständnis hatte ich eingeholt) den Grossen Hörsaal Chemie, wo selbst die Vorlesung Analysis II stattfinden sollte.
  2. Nach Verlesen einer Erklärung durch einen mir bekannten Studenten forderten mehrere Studenten dazu auf, den Hörsaal zu verlassen. Diese Aufforderung wurde von ca. 50-60 Studenten Folge geleistet, so dass schliesslich 4 oder 5 Studenten im Hörsaal verblieben.
  3. Herr Gerhardt begann daraufhin mit seiner Vorlesung.
  4. Vor den oberen Toren, insbesondere vor dem Westtor versammelte sich die Mehrzahl der Studenten, wobei wieder eine Erklärung verlesen wurde.
  5. Da bei den Gesprächen mit den Studenten naturgemäss ein starker Lautpegel entstand, wollte Herr Gerhardt die Tür schliessen.
  6. Der Student Staab stemmte sich gegen die Tür und als Herr Gerhardt die Tür doch schliessen wollte und ihn ganz vorsichtig an der linken Schulter berührte, brüllte Herr Brückner Herrn Gerhardt an. Ich habe daraufhin in gleicher Tonart Herrn Brückner zurechtgewiesen.
  7. Inzwischen war ein grösserer Teil der Studenten wieder in den Hörsaal hineingegangen und die Türen wurden durch den Hausmeister geschlossen.
  8. Ich blieb noch einigen Minuten im Hörsaal und stellte fest, dass Herr Gerhardt durch Pfeifen, Johlen etc. an der Vorlesung gehindert wurde.

Mit freundlichem Gruss
Prof. Dr. Gert H. Müller

Brief des „vorzüglichen“ Herrn Leicht
(6. Juni 1978)

Eure Magnifizenz,
[…] Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass die „Fachschaft“ das geltende Hausrecht im Institut bewusst missachtet. Meinen Bericht lege ich eine kurze Chronik der jüngsten Vorfälle bei. Zugleich bitte ich das Rektorat wirksame Massnahmen zu treffen, um solche Vorkommnissen vorzubeugen, sie sind überfällig. Auch Mitglieder des Lehrkörpers sind nur Menschen, denen angesichts massiver Provokationen und kalkulierter Unverschämtheiten die Nerven durchgehen können. Vor allem sind Mathematiker keine Juristen, die in jedem kritischen Augenblick genau wissen, was im Hinblick auf zukünftige Prozesse am besten zu tun sei. Darf ich auf den verwunderlichen Umstand hinweisen, dass die „Fachschaft für Mathematik und Physik“, selbst kein Organ der Universität, im Institut für Angewandte Mathematik seit Jahren ein Zimmer als Hauptquartier besetzt hält, um von dort die ganze Nachbarschaft einschliesslich Mensa mit Plakaten zu verseuchen, auf denen die Studentenschaft zu allen möglichen gesetzwidrigen Aktionen aufgehetzt wird. Wäre es nicht an der Zeit, diese Räuberhöhle endlich auszuräuchern?

Mit vorzüglicher Hochachtung
Leicht
(geschäftsführender Direktor)

Anlagen: Notizen, drei Plakate und Hinweise: 1, 2, 2′, 3, 3′

„Ich sei im Lehrkörper der grösste Reaktionär“
(11. August 1978)

Eure Magnifizenz!
Ich melde Ihnen folgende Vorfälle: Am Dienstag, dem 27.6. um etwa 12.30 Uhr, habe ich ein grosses Plakat (es enthielt u.a. beleidigende Äusserungen über Kollegen) von der Glasvitrine im Vorraum des Instituts für Mathematik (INF 288) entfernt. Da erschienen die Herren T. Brückner und T. Tscheke von der sogenannten „Fachschaft Mathematik und Physik“ und verlangten von mir, das Plakat auszuhändigen. Als ich das nicht tat, rissen sie es mir mit Gewalt aus der Hand. Es kamen noch weitere Vereinsmitglieder hinzu, darunter Herr M. Staab, der mich fragte, wieso ich dieses Plakat entfernt hatte, andere dagegen nicht. Dabei zeigte er auf eine harmlose kleinere Annonce, die an einem studentischen Anschlagbrett hing. Ich wurde noch aufgefordert, über den Inhalt des Plakates „akademisch“ zu diskutieren.
Am Donnerstag, dem 29.6., kam Herr Thomas Lutz von der „Fachschaft“ in meine Vorlesung „Lineare Algebra I“ (11-13 Uhr c.t. im Hörsaal 1) und hinderte mich trotz mehrfacher Aufforderung meinerseits, den Saal zu verlassen, die Stunde zu beginnen, indem er Erklärungen der Fachschaft deklamierte und die Hörerschaft darüber „abstimmen“ liess. Auf die wiederholte Bitte, seinen Fuss vom Stuhl zu nehmen, entgegnete er, ich möge ihn doch in Ruhe lassen, ich sei im ganzen Lehrkörper der grösste Reaktionär.

Hochachtungsvoll
Dr. Johann B. Leicht
(geschäftsführender Direktor)

Brief des sehr ergebenen Freiherrn an seine Magnifizenz
(8. Juni 1978)

Eure Magnifizenz!
Hiermit möchte ich Eure Magnifizenz als oberster Hausherr der Universität bitten, alles nötige zu veranlassen, dass der zur Zeit von der sogenannten Fachschaft besetzte Raum 002 im Gebäude 294 im Neuenheimer Feld geräumt wird. Meine Gründe hierfür sind zweierlei: 1. Aus Gründen, die der Universität bekannt sind, benötigen wir Platz. Es ist einfach einzusehen, dass die sogenannte Fachschaft, die ja meines Wissens keine legale Funktion hat, in der jetzigen Situation ein Zimmer beansprucht. 2. Die jetzigen Vertreter der Fachschaft, vor allem der Fachschaftsleiter Tobias Brückner, als auch die anderen Mitglieder sind als Störenfriede an der Universität bekannt. Es erübrigt sich, alle Vorkommnisse aufzuzählen. Unter anderem hat T. Brückner heute wieder eine Vorlesung gestört, wie mir die Sekretärin erzählte. Ich verweise aus den tätlichen Angriff auf mich zu Beginn des Semesters von Seiten von Herrn Thomas Lutz. Ein Bericht liegt der Universität vor. (Kopie des Schreibens liegt bei.) Um nicht ständig Streit im Haus zu haben, dulde ich zur Zeit einen grossen Teil der Plakate und Wandzeitungen, ich betrachte dies jedoch auf die Dauer als störend und ärgerniserregend.
Seit Beginn des Sommersemesters bin ich als amtierender Fachgruppenleiter in gewissen Sinne Hausherr des Gebäudes 294. Für die Räumung des Zimmers 002, das von der sogenannten Fachschaft besetzt wird, halte ich mich jedoch schon wegen ihrer juridischen Implikationen nicht für kompetent. Ich bitte daher EW. Magnifizenz diese zu veranlassen.

Mit freundlichen Grüssen
Ihr sehr ergebener
Prof. Wilhelm v. Waldenfels